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Wilhelm Liebknecht

[Die Arbeiter] haben gelernt, daß es einen Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital gibt, daß sie ihren eigenen Kampf kämpfen müssen und daß sie politische Macht besitzen müssen, um ihre soziale Befreiung erringen zu können. Wilhelm Liebknecht

Kurzbiografie

Wilhelm Liebknecht (1826-1900), Mitbegründer der deutschen Arbeiterbewegung, war ein prominenter Vertreter der Sozialdemokratie, der sich für die politische und soziale Emanzipation der Arbeiterklasse einsetzte. Liebknecht, der für seine radikaldemokratischen Überzeugungen bekannt war, sah die Demokratisierung der Gesellschaft als Kern des sozialdemokratischen Kampfes. Trotz Verfolgung und Haft blieb er seinem Einsatz für die Arbeiterrechte treu und prägte die Grundlagen und Strategien der Sozialen Demokratie in Deutschland.

Hörbuch

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Wilhelm Liebknecht – Revolutionär in Wort und Tat

von Michael Reschke

Wilhelm Liebknecht (* 29.3.1826 · † 7.8.1900) war ein radikaldemokratischer Revolutionär im Geiste und in der politischen Tat. In der Frühphase der Arbeiterbewegung in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts bis in ihre Etablierung als Massenorganisation zur Jahrhundertwende wirkte er treibend, inspirierend und formgebend in die politische Subjektwerdung der Arbeiterschaft ein. Er war geprägt durch die Marx’schen Lehren und formulierte maßgeblich die Programmatik und Strategie der Sozialdemokratie in Partei und Parlamenten im 19. Jahrhundert.

 

Biografie – Lehrer und Revolutionär

Wilhelm Liebknecht wird 1826 in Gießen geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums widmet er sich dem Studium der Philologie, Theologie und Philosophie. Nach einer kurzen Zeit als Lehrer an der Musterschule des wegweisenden deutschen Pädagogen Friedrich Fröbel schließt er sich in den Revolutionsjahren 1848/49 dem badischen Volksaufstand an und wird mehrfach verhaftet. Er flieht in die Schweiz und geht später nach London ins Exil. 1849 wird er zum Präsidenten der deutschen Arbeitervereine gewählt. In dieser Zeit hat er zwei folgenreiche Begegnungen: Er trifft auf Friedrich Engels (S. 105-111) und Karl Marx (S. 221-227). 1862 erfährt er Amnestie und kehrt als Mitarbeiter der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« nach Berlin zurück. 1863 tritt er in den ADAV Lassalles (S. 185-191) ein, 1865 wird er ausgeschlossen. Nach seiner Ausweisung 1865 aus Preußen geht er nach Leipzig und trifft dort auf August Bebel (S. 54-59), eine weitere folgenreiche Begegnung, die in lebenslanger Freundschaft mündet.

Eine wiederholende Erfahrung im Leben Wilhelm Liebknechts bis ins hohe Alter sind Verfolgungen und Haftstrafen aus politischen Gründen. So wird er unter anderem im Leipziger Hochverratsprozess 1872 (gemeinsam mit August Bebel) zu zwei Jahren Haft aufgrund seiner Haltung zum Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 und zur Pariser Kommune verurteilt, die er nicht zuletzt in seiner wohl berühmtesten Rede und späteren Streitschrift Zu Trutz und Schutz 1871 kämpferisch zum Ausdruck brachte.

Die ihn in Übereinstimmung mit Marx antreibende Idee der politischen Emanzipation der Arbeiterklasse als Notwendigkeit ihrer Befreiung bestimmt sein politisches Handeln: 1866 gründet er die Berliner Sektion der I. Internationale und gemeinsam mit Bebel die Sächsische Volkspartei. In Opposition zum ADAV wiederum gründet er 1869 gemeinsam mit Bebel die Sozialdemokratische Arbeiterpartei in Eisenach. Auch an der Gründung der II. Internationale 1889 nimmt er teil, und wiederholt widmet er sich dem politischen Journalismus und der Publizistik, dies nicht zuletzt als Chefredakteur des Vorwärts ab 1892 bis zu seinem Tod.

Ein Pionier war Liebknecht zudem im Erlernen des Parlamentarismus für die junge Arbeiterbewegung. Dem Norddeutschen Reichstag gehörte er bereits von 1867 bis 1871 an, später dem Deutschen Reichstag nahezu ununterbrochen von 1874 bis 1900, zudem dem sächsischen Landtag 1879 bis 1885 und 1889 bis 1892. Dabei behielt er stets seine Skepsis hinsichtlich der Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten des Parlaments im autoritären Kaiserreich, trat aber konsequent für die Nutzung desselbigen als »Agitationsmittel« für die Interessen der Arbeiterbewegung ein (Schröder 1976: 24).

Am 7. August 1900 stirbt der mehrfache Familienvater, zu dessen Söhnen der spätere Gründer der KPD, Karl Liebknecht, gehört. Im größten Trauerzug seit dem Tod Wilhelm I. zollen rund 150.000 Menschen Wilhelm Liebknecht ihren Respekt.

 

Untrennbarer Zusammenhang von Demokratie und Sozialismus

Wilhelm Liebknecht hat die Strategie und Programmatik der Sozialdemokratie intensiv beeinflusst und zahlreiche Meilensteine und Momente der Selbstvergewisserung in deren historischer Entwicklung formuliert – gewissermaßen Merksätze, die auch über ein Jahrhundert später eindrucksvoll und eingängig den ideellen Kern der Sozialdemokratie widerspiegeln. Einen roten Faden spinnt dabei sein unbedingter Wille zur Demokratisierung der Gesellschaft und zu einem aktiven (sozialen wie politischen) »Befreiungskampf« der Arbeiterbewegung. Hierbei griff er immer wieder auf den wissenschaftlichen Sozialismus nach Marx und Engels zurück.

1869, im Jahr der Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, widmet er sich der politischen Stellung der Sozialdemokratie und stellt fest:

»Weil wir die Untrennbarkeit der Demokratie und des Sozialismus begriffen haben, nennen wir uns Sozialdemokraten« (zit. n. Schröder 1976: 14).

Auch dem Revolutionsverständnis der jungen Sozialdemokratie widmet er sich, welches er als einen »revolutionäre[n] Prozeß« versteht, »der auch in den friedlichen Perioden nicht ruht« und den sozialen wie den politischen Kampf verbinden müsse (zit. n. ebd.: 15). Diese Herausstellung des Demokratischen als ideellen Kern sozialdemokratischer Identität war für den Radikaldemokraten Liebknecht ein charakteristischer politischer Glaubenssatz, der durchaus auch als Kritik an der materialistischen Dialektik nach Marx zu verstehen ist.

Die Frage, wie die politische Emanzipation der Arbeiterklasse in der politischen Praxis unter den Bedingungen eines autoritären Staates gelingen kann, stellt sich Liebknecht als einem der ersten Parlamentarier der Sozialdemokratie dabei ganz konkret. Dabei warnt er immer wieder vor leichtfertigen und naiven Verhandlungen mit den konkurrierenden Parteien und Fraktionen und wirbt für einen eindeutigen Oppositionskurs. Zwar solle die Sozialdemokratie Wahlen auf allen Ebenen des Staates nicht boykottieren, allerdings müsse sie sich stets den realen Einfluss des Parlaments unter den autoritären Rahmenbedingungen seiner Zeit vor Augen führen: »Das allgemeine Stimmrecht erlangt seinen bestimmenden Einfluß auf Staat und Gesellschaft erst nach Beseitigung des Polizei- und Militärstaates« (Schröder 1976: 29; vgl. auch ebd.: 260 ff.). Er verweist somit bereits früh auf den voraussetzungsvollen Charakter lebendiger demokratischer Institutionen.

Seine wohl bekannteste – und auch als Zeitdokument herausragende – Rede hält Liebknecht unter dem Titel Zu Trutz und Schutz 1871. Wenige Monate nach der Krönung Wilhelms I. in Versailles und der blutigen Niederschlagung der Pariser Kommune mit rd. 30.000 getöteten und mindestens ebenso vielen inhaftierten Sozialisten tritt Liebknecht trotzig und leidenschaftlich für die Ziele der Arbeiterbewegung ein. Er zieht – trotz seiner Ablehnung der Religion – Parallelen zwischen Christentum und Arbeiterbewegung in ihrem Aufstieg, ihrer Opferbereitschaft und ihrem Märtyrertum. Beide ließen sich auch im Angesicht des Todes nicht brechen. Im internationalistischen Geist wendet er sich gegen Militarismus und Krieg und begegnet dem Vorwurf der Vaterlandslosigkeit:

»Das Wort ›Vaterland‹ […] hat keinen Zauber für uns; Vaterland in Eurem Sinne ist uns ein überwundener Standpunkt, ein reaktionärer, kulturfeindlicher Begriff; die Menschheit lässt sich nicht in nationale Grenzen einsperren; unsere Heimat ist die Welt […].« (ebd.: 85).

So wendet er sich auch im Folgenden gegen die zeitgenössischen Vorwürfe gegenüber der Sozialdemokratie und erläutert auf diesem Weg die eigene Programmatik: Die Sozialdemokratie wolle nicht das Privateigentum abschaffen, sondern den Arbeitern anhand der Überwindung der Lohnarbeit und mit Genossenschaften das Eigentumsrecht über den vollen Ertrag ihrer Arbeit eröffnen; nicht die Harmonie in der Gesellschaft stören, sondern anhand des Begegnens in Gleichheit Harmonie erst ermöglichen; nicht Kultur zerstören, sondern Kultur durch Entfaltung und Bildung schaffen; nicht die Familie vernichten, sondern den Frauen Selbstbestimmung ermöglichen; nicht die Klassenherrschaft der Bourgeoisie durch eine eigene Klassenherrschaft des Proletariats ersetzen, sondern eine Gesellschaft der Freien und Gleichen erschaffen (vgl. ebd.: 105 ff.).

 

»Wissen ist Macht – Macht ist Wissen«

Liebknecht, der selbst sehr stark in den Arbeiterbildungsvereinen wirkte und diese sukzessive aus den Händen und letztlich dem Zweckbündnis mit den Linksliberalen führte, widmete sich zudem in seinem Vortrag Wissen ist Macht – Macht ist Wissen der Bildungsfrage als Teil der sozialen Frage und des politischen Kampfes. Das Bildungssystem des Kaiserreichs klagt er an, nicht zur Entwicklung, sondern zur Verkrüppelung und Unterdrückung individueller Anlagen und Potenziale zu führen (vgl. ebd.: 165). Liebknecht schreibt diesem einen autoritären Geist zu, der sich aus dessen Zweckorientierung an den Bedürfnissen des Militärs und des Staates ergebe (vgl. ebd.: 146 f.). Das Bildungssystem füge sich somit in die Herrschaft stabilisierende, autoritär gesinnte »Dreieinigkeit« des Kaiserreichs ein: Schule, Kaserne und Presse (vgl. ebd.: 154). Folgerichtig lehnt er die liberale Formel »Durch Bildung zur Freiheit« ab, wendet diese zu »Durch Freiheit zur Bildung« und bezieht sie so auf die Machtfrage im Staate (vgl. ebd.: 173). Für ihn war klar: »Macht ist Wissen«, freiheitliche Bildung und Wissen als Gemeingut bedürften des demokratischen Staates und diesen gelte es zu erzwingen. Erst dann könne die Sozialdemokratie als »im eminentesten Sinne Partei der Bildung« (ebd.: 171) die individuelle und gesellschaftliche Entfaltung befördern.

 

Beitrag zur Theorie einer Sozialen Demokratie

Wilhelm Liebknecht steht für die Demokratisierung des Staates als Bedingung der Möglichkeit einer sozial emanzipatorischen Politik. Eindrucksvoll zeigte er auf, dass gesellschaftliche Subsysteme nicht losgelöst von gesellschaftlicher Hegemonie und Herrschaftstyp betrachtet werden dürfen. So wirken zum Beispiel das allgemeine Stimmrecht und eine hohe Bildungsbeteiligung nicht aus sich selbst heraus fortschrittlich, sondern es kommt ganz entscheidend auf ihre Einbettung an, die maßgeblich von der »herrschenden Klasse« im Staat definiert wird.

Die gesellschafts- und bildungspolitischen Beiträge Liebknechts wiederum skizzieren einen befähigten, mündigen, humanistisch gesinnten, ja freien und solidarischen Weltbürger und formulieren somit ein spezifisches Menschenbild Sozialer Demokratie.

 

Wirkung heute

Wilhelm Liebknecht ist mehr als ein Fossil der marxistisch-orthodoxen Sozialdemokratie des Kaiserreichs und er ist auch mehr als »nur« der Gründungsvater einer der SPD Ursprungsparteien. Liebknecht wird nicht ohne Grund häufig als »Soldat der Revolution« charakterisiert (Schröder 2013). Dies ist nicht allein eine Anspielung auf seine tatsächlichen umstürzlerischen Revolutionskämpfe zur Mitte des 19. Jahrhunderts, sondern ebenso sehr eine Respektsbekundung vor der Haltung und dem Einsatz der persönlichen Freiheit und des Lebens für die Ideen der Arbeiterbewegung. Wilhelm Liebknecht gehört zu den großen Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung in und über Deutschland hinaus, die diese nicht nur repräsentierten, sondern verkörperten und formten. Liebknecht stritt für den Selbstvertretungsanspruch der Arbeiterbewegung. Dies tat er entlang zweier zeitloser Prinzipien: Erstens braucht Politik Organisation, und die Arbeiterbewegung ist darauf angewiesen, sich politisch zu institutionalisieren. Und zweitens: Die politische und soziale Emanzipation ist voraussetzungsvoll und bedarf der eigenen Befähigung durch Aufklärung und Bildung.


Werk

  • Schröder, Wolfgang (1976): Wilhelm Liebknecht. Kleine Politische Schriften, Leipzig.
  • Besonders:
    Liebknecht, Wilhelm (1869), Über die politische Stellung der Sozialdemokratie, insbesondere mit Bezug auf den »Norddeutschen Reichstag«, Leipzig.
  • Liebknecht, Wilhelm (1871), Zu Trutz und Schutz, Leipzig.
  • Liebknecht, Wilhelm (1872), Wissen ist Macht – Macht ist Wissen, Leipzig.
  • Liebknecht, Wilhelm (1891), Rede zur Begründung des Erfurter Programms, Leipzig.

Literatur

  • Schröder, Wolfgang (2013), Wilhelm Liebknecht. Soldat der Revolution, Parteiführer, Parlamentarier – Ein Fragment, Berlin.

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