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Paul Tillich (1886–1965), ein theologischer Philosoph und religiöser Sozialist, verband christlichen Glauben mit sozialistischen Idealen, ohne sich einer Bewegung anzuschließen. Nach dem Studium und dem Dienst als Feldprediger im Ersten Weltkrieg wandte er sich akademischen und politischen Aktivitäten zu, bis er 1933 vor den Nationalsozialisten in die USA floh und dort seine Karriere fortsetzte. Tillich, der in "Die sozialistische Entscheidung" seine Vision einer auf Gerechtigkeit basierenden Gesellschaft darlegte, beeinflusste die sozialdemokratische Bewegung tiefgreifend und hinterließ ein Vermächtnis, das die Verbindung von Glaube und Sozialismus betont.
Hören Sie den Eintrag zu Paul Tillich auch als Hörbuch. (Hörzeit 11:14 Minuten)
Paul Tillich (* 20.8.1886 · † 22.10.1965) hatte auch als Pfarrer, wie Theodor W. Adorno anmerkte, nichts mit dem Bild des »moralinsauren« und »repressiven« protestantischen Pfarrers gemein, wie es um 1900 nur zu oft bestimmend war. Er war als philosophischer Theologe ein »Denker auf der Grenze« (Wilhelm Weischedel) (Wehr 1979: 144 f.). Das wollte er auch als religiöser Sozialist sein. Er lehnte freilich einen organisierten religiösen Sozialismus ab, da es ihm um eine religiös begründete Idee des Sozialismus ging. In seiner 1933 erschienenen und nur in wenigen Exemplaren ausgelieferten programmatischen Schrift »Die sozialistische Entscheidung« hat er seine »Idee des Sozialismus« umfassend zusammengefasst.
Tillich hielt darin trotz aller Vorbehalte, die aus den Querelen der religiösen Sozialisten in der Weimarer Republik resultierten, am Begriff des religiösen Sozialismus fest.
Der als Sohn eines lutherischen Pfarrers 1886 in einem kleinen Dorf bei Guben geborene Paul Tillich machte in Berlin sein Abitur, studierte seit 1904 Theologie und Philosophie in Berlin, Tübingen und Halle und promovierte 1910 in Breslau zum Doktor der Philosophie, nachdem er zuvor das Erste Theologische Examen bestanden hatte. Er war als Vikar tätig und wurde 1912 nach dem Zweiten Theologischen Examen in Berlin zum Pfarrer der brandenburgischen Landeskirche ordiniert. Zunächst Hilfsprediger in Berlin-Moabit meldete er sich 1914 freiwillig als Feldprediger an die Westfront. Seine »ursprüngliche Begeisterung« war schnell vorüber. Er erkannte, dass »die Arbeiter die Kirche als bedingungslose Verbündete der herrschenden Gruppen ansahen«. Das Kriegserlebnis ließ, wie er sich später erinnerte, die »idealistische Seite« seines Denkens zerbrechen (Wehr 1979: 31-33). Nach einem Nervenzusammenbruch war er dem Frontdienst nicht mehr gewachsen. Das Kriegsende erlebte er als Garnisonspfarrer in Berlin.
Nachdem er sich bereits 1916 habilitiert hatte, war er von 1919 bis 1924 Privatdozent an der Berliner Universität. 1924 erhielt er einen Ruf als Professor für Systematische Theologie nach Marburg, 1925 als Professor für Religionswissenschaft an die TU in Dresden und seit 1927 übernahm er zusätzlich eine Professur in Leipzig. Von 1929 bis 1933 war er als Professor für Philosophie und Soziologie in Frankfurt am Main tätig.
Im April 1933 wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen, er emigrierte zusammen mit seiner Frau Hannah und seiner 1926 geborenen Tochter Erdmuthe in die USA. Im Dezember 1933 erfolgte die endgültige Amtsenthebung. Nach jahrelanger zeitlich befristeter Lehre und Forschung in New York war er von 1940 bis 1955 Professor für Philosophische Theologie am Union Theological Seminary in New York. 1940 wurde er amerikanischer Staatsbürger. Er hielt mehrfach Radioansprachen an das deutsche Volk über den Sender »Voice of America«. Kurz vor Kriegsende übernahm er den Vorsitz des »Council for a Democratic Germany« (Rat für ein demokratisches Deutschland), der – wie Tillich hoffte – allen antinazistischen Emigranten der verschiedensten politischen Richtungen eine Stimme verleihen sollte. Die Hoffnungen erfüllten sich nicht. Der Ost-West-Gegensatz war größer.
1948 reiste er erstmals wieder nach Europa, kehrte jedoch nicht nach Deutschland zurück, auch wenn er immer wieder einmal die Bundesrepublik Deutschland besuchte. 1962 erhielt er den »Friedenspreis des deutschen Buchhandels«. Von 1955 bis 1962 war er Universitätsprofessor in Harvard und von 1962 bis zu seinem Tode im Jahre 1965 in Chicago. Er liegt seit 1966 im Paul-Tillich-Gedächtnispark in New Harmony, Indiana, der Wirkungsstätte des utopischen Sozialisten Robert Owen, begraben.
Von dem Sozialdemokraten und religiösen Sozialisten Paul Tillich während der Weimarer Republik soll im Folgenden die Rede sein, nicht von dem zu Unrecht bis heute wenig bekannten Philosophen und protestantischen Theologen, der er auch und vor allem bis zu seinem Tode im Jahre 1965 war (vgl. Heimann 1993: 221-227).
Dem 1919 von Carl Mennicke ins Leben gerufenen und von Paul Tillich und Eduard Heimann maßgeblich bestimmten »Berliner Kreis« religiöser Sozialisten gehörten nie mehr als zehn bis zwölf Mitglieder an. Sie wollten keine feste Organisation bilden, sondern eine »geistige Gemeinschaft« sein. Der Einfluss des Kreises auf die religiös-sozialistische Bewegung in der Weimarer Republik war dennoch nicht gering, auch wenn er später stark überschätzt wurde. Die Mitglieder des »Berliner Kreises« waren meist Professoren, weshalb der Kreis – mit kritischem Unterton – auch als »akademische Spielart« des religiösen Sozialismus bezeichnet wurde. Einfluss nahm der »Berliner Kreis« besonders mit den beiden Zeitschriften »Blätter für religiösen Sozialismus«, von Carl Mennicke 1920 bis 1927 herausgegeben, und »Neue Blätter für den Sozialismus«, von Paul Tillich, Eduard Heimann und August Rathmann 1930 bis 1933 herausgegeben. Vor allem Paul Tillich und Eduard Heimann formulierten in der kritischen Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Marxismus der sozialistischen Arbeiterbewegung, mit der »Dialektischen Theologie« von Karl Barth und mit der »Reich-Gottes-Lehre« von Leonhard Ragaz ein klar umrissenes philosophisch-theologisches Selbstverständnis des »Berliner Kreises«. Auch wenn die meisten Mitglieder seit Mitte der 20er-Jahre Professoren in anderen deutschen Städten waren, blieb der Name »Berliner Kreis« erhalten. Die beherrschende Persönlichkeit in dem Kreis war weiterhin Paul Tillich, weshalb die Gruppe auch Tillich-Kreis genannt wurde.
Tillich hatte schon 1919 zusammen mit Pfarrer Carl Wegener in der Broschüre »Sozialismus als Kirchenfrage« eine erste Programmschrift des »Berliner Kreises« geschrieben. Darin nannte er ein »solidarisches Menschheitsgefühl« das konstituierende Moment sowohl für die sozialistische Bewegung wie auch für eine religiöse Grundüberzeugung. Der sozialistische Arbeiter sah freilich mit Recht in der Amtskirche eine Verbündete des kapitalistischen Klassenstaates, wie Tillich konstatieren musste. Das müsse anders werden:
»So müssen Christentum und Sozialismus sich fortentwickeln und eins werden in einer neuen Welt- und Gesellschaftsordnung, deren Grundlage eine durch Gerechtigkeit gestaltete Wirtschaftsordnung, dessen Ethos eine Bejahung jedes Menschen [...] ist«. (Wehr 1979: 40-42)
Die Mitglieder des »Berliner Kreises« versuchten, Lehren aus dem Vorwurf zu ziehen, ihre Debatten seien ohne Praxisbezug. An ihrer seit 1930 erscheinenden Zeitschrift »Neue Blätter für den Sozialismus« arbeiteten Autoren wie Carlo Mierendorff, Theodor Haubach und Adolf Reichwein mit, die sich nicht als religiöse Sozialisten verstanden. Tillich, seit 1929 Mitglied der SPD, schrieb dazu, dass er weiterhin an einer »religiös begriffenen Idee des Sozialismus« festhalte, dass er aber die neue Sache nicht mit alten Missverständnissen belasten wolle. (Vgl. Heimann 1993: 226)
Es kann kein Zweifel bestehen, dass Paul Tillich und seine Mitstreiter mit ihrem religiös begründeten Verständnis von Sozialismus in die Sozialdemokratie nachhaltiger programmatisch hineinwirkten, als es dem 1926 überregional gegründeten Bund der religiösen Sozialisten Deutschlands (BRSD) gelungen war. Die programmatische Schrift Tillichs »Die sozialistische Entscheidung« kam nur scheinbar zu spät. Allerdings erreichten nur wenige Exemplare der Anfang 1933 erschienenen Schrift den Buchhandel; die Auflage wurde beschlagnahmt und das Buch verboten. (Vgl. Heimann 1993: 227)
Paul Tillich fasste mit seiner 1946 von August Rathmann wieder aufgelegten Schrift alle vorangehenden Versuche, »Sozialismus aus dem Glauben« zu begründen, kritisch zusammen. Viele religiöse Sozialisten konnten sich darin eher wiederentdecken als in der Vielzahl von »Aktionsprogrammen« des BRSD. Das Problem freilich war, wie Tillich betonte, dass die große Mehrheit des Proletariats, das für diese »neue Religion« gewonnen werden sollte, glaubenslos war. Die Konsequenz aus diesem Begriff vom religiösen Sozialismus konnte deshalb nur sein, für eine solche »neue« Religion in der sozialistischen Arbeiterbewegung zu missionieren. Dazu waren allerdings die meisten religiösen Sozialisten nicht bereit. Ein noch größeres Problem war, in der SPD und in der KPD für eine »neue« Religion überhaupt missionarisch tätig zu sein (vgl. Heimann 1993: 27-29).
Nach seinem erzwungenem Gang ins Exil im Jahre 1933 äußerte sich Tillich noch während des Krieges im Jahre 1943 erstmals wieder ausdrücklich zum Begriff des religiösen Sozialismus. Er hielt einen Vortrag zu dem Thema: »Mensch und Gesellschaft im religiösen Sozialismus«. Darin bekannte er sich – die Nazidiktatur vor Augen – zum Prinzip der Gerechtigkeit, das allein die Würde des Menschen sichern kann. Gerechtigkeit aber verlange, dass
»keine zufälligen Verschiedenheiten (wie Alter, Geschlecht, Rasse, Intelligenz, Kraft, Geburt usw.) über die wesentliche Qualität des Menschen die Oberhand gewinne. Und daraus folgt für den gesellschaftlichen Wiederaufbau, wie ihn der religiöse Sozialismus fordert, daß diese Ungleichheiten an Macht, sowohl politischer (Faschismus) wie ökonomischer Macht (Monopolkapitalismus) [...], überwunden werden, die als Ergebnis zur Entmenschlichung führten, d. h. zur Zerstörung der schöpferischen Freiheit des Menschen.« (Tillich 1943: 14)
Dieses Bekenntnis Tillichs zu einem Prinzip der Gerechtigkeit als Grundlage einer sozialistischen Gesellschaft bleibt sein bis heute gültiges Vermächtnis.